Landespsychologentag 2015 in Hessen

Wie gelingt die Integration des Fremden – Landespsychologentag in Hessen am 26.09.15

Als wir uns in der Landesgruppe Hessen für das Thema entschieden, konnten wir nicht absehen, wie aktuell es dann sein würde. 110 Anmeldungen und viele weitere Anfragen auf Teilnahme nach Ende der Anmeldefrist zeigt, wie wichtig die Situation der Flüchtlinge für unseren Berufsstand ist.
Ganz besonders freute uns, dass unser Präsident Prof. Krämer unseren LPT besuchte. So konnten viele Mitglieder ihren Präsidenten kennenlernen. Durch den persönlichen Eindruck und einem Gesicht zum Namen Ihres Präsidenten erhält der BDP eine persönlichere Kontur. Der BDP ist dann nicht nur eine Organisation irgendwo in Berlin, was bedeutsam für den Erhalt der Mitglieder ist.

Wir haben uns sehr gefreut, die Dipl.-Pädagogin, Systemische Familientherapeutin und Supervisorin Marie Rössel-Cunovic für den Vortrag ‚Kultursensible psychosoziale Beratung und Psychotherapie mit Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten’ zu gewinnen.
Das Ausmaß psychischer Verstörung nach den traumatisierenden Erfahrungen von Gewalt durch Kriege, Terror und Verfolgung ist bei vielen Flüchtlingen eng daran geknüpft wie viel Sicherheit, Stabilität und welche einfühlsamen Reaktionen sie in der Umgebung erleben, in der sie Zuflucht gesucht haben. Folgt man dem von Hans Keilson entwickelten Konzept der traumatischen Sequenzen, das verschiedene Phasen des traumatischen Prozesses beschreibt, dann ist es für die Geflüchteten von größter Bedeutung, ob sie im Zufluchtsland zur Ruhe kommen können und wieder neues Vertrauen in mitmenschliche Beziehungen entwickeln können.
Psychosoziale Beratung und Psychotherapie können ein wichtiger Baustein für die Wiedererlangung von Würde und Autonomie nach der Erfahrung von absoluter Hilflosigkeit und Überwältigung in der traumatischen Situation sein. Dies erfordert allerdings von den Therapeut/innen nicht nur ein Verständnis von der aktuellen Lebenssituation der Flüchtlingsklient/innen und den rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Aufenthaltes, sondern auch Sensibilität sowohl für den eigenen kulturellen Hintergrund und den „fremden“ der Klient/innen. Zumal in etlichen Herkunftsländern von Flüchtlingen auch psychotherapeutische Angebote in der bei uns üblichen Form,  kulturell nicht verankert  sind.
Verständnisschwierigkeiten können aber auch darauf beruhen, dass Therapeut/in und Klient/in nicht in der gleichen Sprache miteinander sprechen können. Die therapeutische Arbeit in der Triade Klient/in –Therapeut/in und Dolmetscher/in ist in der Psychotherapie für viele ungewohnt, aber nicht selten die einzige Möglichkeit, miteinander sprechen zu können.
Am Ende des Vortrags hatten die Teilenehmerinnen ein besseres Verständnis für die Verbindung von Trauma durch Verfolgung und Flucht und den Einwirkungen der Lebensbedingungen im Zufluchtsland auf den Verlauf des traumatischen Prozesses. Auch wurden Kenntnisse über Beratung und Behandlung im interkulturellen Kontext weitergegeben und über Möglichkeiten des Arbeitens in der Triade Therapeut/in – Klient/in- Dolmetscher/in informiert.

Besondere Aufmerksamkeit galt der Volljuristin und interkulturellen Notfallbegleiterin Emine Staak, die zwei Vorträge gehalten hat. Zum Einen informierte sie über die juristischen Rahmenbedingungen bei Asylsuchenden, zum Anderen gab sie persönliche Einblicke in ihre eigenen Erfahrungen zusammen mit einem Ausschnitt aus der muslimischen Kultur und Religion. Nur selten haben wir die Gelegenheit die innerfamiliären Konflikte aus den Empfindungen einer Betroffenen zu hören. Der persönliche Vortrag ermöglichte einen Einblick in den Alltag der Muslime in Deutschland. Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern auch eine Glaubens- und Lebensgemeinschaft. Als gebürtige Muslimin in Deutschland habe sie einerseits das Privileg, sich in beiden Kulturkreisen zu bewegen. Andererseits werde sie täglich aufs Neue vor die Herausforderung gestellt, beide Kulturkreise “unter einen Hut” zu bekommen. An einigen persönlichen Beispielen startete sie einen Versuch, den Teilnehmerinnen einerseits die Vorzüge, andererseits aber auch den damit verbundenen Aufwand wiederzugeben. Der Spagat zwischen den Kulturen zu leben. Sein eigenes Leben zu verwirklichen und gleichzeitig die Kultur der Ursprungsfamilie nicht zu verlassen. Hier haben sich Geschwister in der neuen Heimat unterschiedlich eingerichtet. Die Referentin lebt in Deutland in der deutschen Kultur, ihre Schwester in Deutschland isoliert in der Heimatkultur. Am Ende hatten die Teilnehmer einen guten Einblick in den muslimischen Kulturkreis und sie konnten alle Fragen stellen, die sie schon immer fragen wollten –  und erhielten eine fundierte Antwort.

Der juristische Vortrag gab einen Überblick über die wesentlichen Bereiche des Ausländer- und Asylrechts. Das Asylrecht für politisch Verfolgte ist in Deutschland ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht. Das Aufenthaltsgesetz enthält die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen über die Ein- und Ausreise und den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland. Nicht vom Aufenthaltsgesetz erfasst sind freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und deren Familienangehörige sowie einige besondere Ausländergruppen (z.B. Diplomaten). Es ist seit dem 1. Januar 2005 in Kraft und ersetzt das Ausländerrecht.
Durch die Zusammenarbeit mit einer Rechtsanwältin für Ausländer- und Asylrecht einerseits sowie den persönlichen Berichten eines Heimleiters eines Asylbewerberheims sowie einiger Asylbewerber wurden einige persönliche Erfahrungen zusammengetragen und ausschnittsweise wiedergegeben.
Die Teilnehmer erwarben einen Überblick über den rechtlichen Umfang und erhielten einen “Erste-Hilfe-Plan” zur rechtlichen Einbeziehung.

Einen Vortrag über Traumabewältigung, Kommunikation und Integration von Jugendlichen mit Flucht- und Migrationsgeschichte hielten Dr. Dipl. Pol/Päd. Mirja Keller und Dipl. Päd. PiA, Sarah Friedrich. Im Jahr 2014 ist die Zahl der Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gegenüber den Vorjahren um etwa 45% auf 10.321 gestiegen, alleine in Hessen wurden 1.544 Jugendliche in Obhut genommen. Derluyn und Broekaert stellen fest, dass 37–47 % der alleine geflüchteten Jugendlichen schwere bis sehr schwere Symptome von Angst, Depression, emotionalen Problemen sowie Posttraumatischen Belastungssymptomen aufzeigen (2008).  Für PsychotherapeutInnen und pädagogische Fachkräfte bedeutet der Umgang mit traumatisierten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine ganz besondere menschliche, berufliche und auch gesellschaftliche Herausforderung. Der Vortrag handelte von diesen Herausforderungen und besonderen Bedürfnislagen in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Flucht- und Migrationsgeschichte im Rahmen von Therapie, Psychosozialer Beratung und Jugendhilfe. Es geht um den Umgang mit und den Abbau von sprachlichen und kulturellen Barrieren, um die Kooperation von und mit Dolmetschern und den verschiedenen Institutionen (wie z.B. Jugendamt, Vormünder, Soziale Träger, Schule, Therapeuten und Vereine). Ein Schwerpunkt dabei ist die Unterstützung durch TraumapädagogInnen und TherapeutInnen bei der Bewältigung der vorhandenen Traumata, Ängsten und Unsicherheiten, verbunden mit der Frage nach der Begleitung in Integration, Alltag und Zukunft. Hierbei geht es ganz praktisch um die Notwendigkeit von emotionaler Stabilisierung und Aktivierung von Ressourcen und Skills, den Aufbau von Selbstermächtigung, die Wichtigkeit von Geduld und Verständnis für die ständige Frustration der jungen Menschen, um die Bedeutung von Diagnostik und Gutachten, um die Benennung der strukturellen Probleme, um die Bearbeitung und Vermittlung von Bürokratie. Dazu gehört auch das ständige Stoßen an Grenzen in der alltäglichen Arbeit mit den Jugendlichen im Spannungsfeld von Gesundheitsversorgung, Kindeswohl und Asylgesetzgebung. All diese Punkte sollen kombiniert mit Beispielen aus unserer Arbeit dargestellt werden.

Die Teilnehmerinnen/er hatten die Gelegenheit, an einem Büchertisch Literatur zum Thema anzuschauen und zu kaufen.
In den Pausen und als Mittagessen gab es vegane Köstlichkeiten. Der Austausch kam nicht zu kurz. Diskutiert wurde vor allem, wie wir Psychologinnen und Psychologen mit vertieftem Wissen in der Bevölkerung für mehr Akzeptanz von Fremden und dem Fremden fördern können. Alle gingen bereichert und zufrieden nach Hause und bleiben gespannt auf den Landespsychologentag 2016.